Elisabethkirche
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48 Meter verwebte Lebensgeschichte

schmücken die Elisabethkirche

Foto: Christian Lademann

Foto: Christian Lademann

Foto Christian Lademann

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„Viele Menschen aus der Menge breiteten ihre Kleider als Teppich auf die Straße, andere rissen Zweige von den Bäumen und legten sie auf den Weg“, heißt es in Matthäus 21, 8 über Jesu Einzug in Jerusalem. An jedem Palmsonntag im Jahr, mit dem die Karwoche ihren Anfang nimmt, erinnern sich Christen immer wieder an diesen Moment. Auch beim Gottesdienst in der Elisabethkirche Marburg am 2. April geschah dies gewohnt mit Liedern, Instrumentalmusik, Lesungen und Gebeten – aber diesmal auch mit einem besonderen Akt: So wie die Menschen, die Jesus als ihren neuen König in Jerusalem empfingen und ihre Kleider vor ihm ausbreiteten, so wurde hier nun ein gewebter Teppich im Mittelgang während der Lesung des Evangeliums (Matthäus 21, 1-11) ausgebreitet. Kein kleiner oder symbolhaft schlichter. Nein, sogar gleich einer, der vom Altar bis nach draußen vor die Elisabethkirche an die Stufen zur Elisabethstraße reichte. Hunderte Menschen haben diesen mitgewebt und ein farbenfrohes wie einladendes Glaubensbekenntnis geschaffen – ganz im Sinne, wie es Pfarrer Matti Fischer in seinem Gebet beschrieb:

Gott, wir legen unser Leben vor dich.

Unsere Geschichte, unsere Geschichten.

Das, was wir sind.

Stückwerk. Flickwerk.

Webe du es zusammen zur vollen Pracht und Schönheit.

Lass uns strahlen. Gemeinsam mit dir.

Das bitten wir durch Jesus Christus, deinen Sohn,

der mit dir und dem Heiligen Geist lebt und Leben schenkt

von Ewigkeit zu Ewigkeit.

Amen

 

Sechs Wochen lang haben Gemeindemitglieder und Besucher der Kirche an einem alten Webstuhl den Passionsteppich gewebt, betreut von der Webmeisterin Silke Mann aus dem Ebsdorfergrund.

Das ursprüngliche Ziel, so berichtete Gottesdienst-Lektorin Marie-Luise Brinkman als Mitglied des Projekt-Teams, war es, einen Teppich zu weben, der vom Altar bis zur Glastür am Eingang der Kirche (unterhalb der Orgelempore) reicht, das wären zirka 32 Meter. Doch als Maja Thies, Barbara Krzensk und Martin Kindler den Teppich während der Lesung dann ausrollten, staunte die Gemeinde nicht nur über das immer länger werdende farbig-streifige Band, sondern auch darüber, dass das Ausrollen keineswegs an besagter Glastür stoppte, sondern über das Westportal hinaus auf den Kirchenvorplatz reichte. Ganze 48 Meter misst der 1,20-Meter breite Teppich letztlich in der Länge.

Eingearbeitet wurden nicht nur die verschiedensten Stoffe von Bettlaken und Kopfkissen über Schlafanzüge bis hinzu T-Shirts und alte Leinenstoffe, sondern auch die (Lebens-)Geschichten, welche die mitwebenden wie Stoffe spendenden Leute mitbrachten: Ruth Knüppel (Gemeindemitglied und Kirchenführerin) erzählte, von einer Frau, die viele übrige Stoffe ihrer verstorbenen Mutter brachte und sagte, die Mutter wäre sicherlich sehr glücklich, wenn sie wüsste, dass ihre Stoffe jetzt in diesen Teppich eingewebt worden seien. Auch Kirchenvorstandvorsitzende Anne Kuppe, die mit ihrem Sohn selbst an einem späten Abend in aller Ruhe ein Stück des Teppichs webte, erinnerte sich an eine Mutter, die Bettlaken ihrer Kinder abgab und diese als „eingewebte Stücke Kindheit“ verstand.

Kirchenvorsteherin Marie-Luise Brinkman hat gar mehrmals am Teppich mitgewebt, mitgezählt hat sie nicht, aber irgendwas zwischen 10 und 20 Mal waren es schon. Gefreut hat sie sich, dass Stoffe aus dem ganzen Landkreis und dem Hinterland, aber sogar aus Frankfurt, von Leuten, die wohl aus der Hessenschau von diesem Projekt erfahren hatten, abgegeben wurden. Je nach Art des Stoffes mussten diese, um eingewebt werden zu können, in drei bis fünf Zentimeter breite Steifen geschnitten werden. Kirchenvorsteherin und Projektteam-Mitglied Jutta Kaletsch, die selbst Näherin war, hat sich gar abgegebene Bauernbettwäsche erst einmal mit nach Hause genommen, um diese für das Weben vorzubereiten und entsprechend in Steifen geschnitten. "Es ist ein schönes Projekt. Ich würde jeder Zeit wieder mitmachen", ist Kaletsch begeistert, zumal ihr Vater einst auch mal den Beruf des Webers erlernt hatte. „Deshalb hat mich das Projekt auch gleich angesprochen.“

Zu den über hundert unterschiedlichen Mitwirkenden zählten unter anderem eine Gruppe älterer Menschen aus dem Altenheim und auch Konfirmandengruppen aus verschiedenen Gemeinden. Letztere, so Ruth Knüppel, hätten hierbei gemerkt, wie lange es dauert, und dass Handwerk etwas sei, das nicht automatisch funktioniere. „Das Schöne“, so Knüppel weiter, „war aber, dass man beim Weben zu zweit arbeiten musste, es also immer Gemeinschaftsarbeit war“. Aufgrund der Breite des Teppichs, des Aufwinkelns der Stoffbahnen auf ein so genanntes „Schiffchen“ und dessen Durchziehen zwischen den Kettfäden sowie dem Betätigen der Weblade und der Webstuhl-Tritte war dies unabdingbar.

Jutta Kaletsch berichtete, dass manche mitwebende Leute dazu überredet werden mussten, es nicht zu bunt machen zu wollen. Und Marie-Luise Brinkman ergänzt dazu mit zwinkerndem Auge: „Einige Leute wollten vehement ihren eigenen mitgebrachten Stoff einweben, egal wie die Farbkombination gerade war.“ Letztlich zählte das Mitmachen; das Ergebnis wirkt auf seine Weise sehr prächtig, pikfein und oberflächlich edel muss der Teppich nicht sein. Wir erinnern uns: „Siehe, dein König kommt und reitet auf einem Eselsfüllen“ (Johannes 12, 15).

Auch die Predigt von Pfarrer Achim Ludwig bezog sich am Palmsonntag auf den Einzug in Jerusalem, wie ihn Johannes niederschrieb (Johannes 12, 12-19), und lenkte dabei den Blick auch in die heutige Zeit zu Themen wie Präsentation und Selbstdarstellung.

Musikalisch begleitet wurde der Gottesdienst durch drei Teile aus dem Violinkonzert Nr. 1 BWV 1041 von Johann Sebastian Bach mit Mattis Schoof (Violine), Ina Himmelmann (Violoncello) und Nils Kuppe (Cembalo) sowie Liedbegleitung an der Orgel von Nils Kuppe.

 

Übrigens: Der Passionsteppich wird bis Ostermontag (außer an Karfreitag) in der Elisabethkirche liegen bleiben. Der über die Innenlänge des Mittelschiffs herausragende Teil des Teppichs wurde nach dem Palmsonntagsgottesdienst abgetrennt und vor dem Altarbereich den übrigen längeren Teil quer überkreuzend ausgelegt – ein großes, buntes Kreuz bildend. Am Gründonnerstag (6.4.) wird zum Abendmahlgottesdienst um 20 Uhr sogar eine lange Tafel auf dem Passionsteppich Platz finden.

Nach Ostermontag soll der der Teppich in kleinen Teilstücken (ca. jeweils 2 Meter) für den guten Zweck verkauft werden. Interessenten können sich bei der Küsterstube der Elisabethkirche (Tel: 06421-65573) melden.

 

Immerhin: Die noch vorhandenen Stoffe reichen, so schätzt Marie-Luise Brinkman, für weitere 100 Meter Teppich.

 

Text: Christian Lademann